spacerspacerspacer

Popsprech

Man bloggt. Allerorts. Und was für Einblicke das bringt. Zum Beispiel in die wunderbare Welt des Musikgeschäftes. Dort wo die Plattenbosse mit den Medienmogulen um Gedeih und Verderb von Popmegastars, Popstars, Popsternchen und Trantüten pokern und den Champus wie unsereins das Himbeer-Zitronen-Kracherl trinken. Dort wo Smash-Hits geboren und Sommerhits gemacht werden. Im Business halt.

Für Ö3, Österreichs beliebtesten (sic!) Radiosender, verschafft uns Clemens Stadlbauer, Pop-Urgestein (Baujahr 63) Einblicke in dieses Dickicht. Und wie.

Da erzählt er also von dem Dilemma, dass man nationale Premieren in der Zeit von Downloads und Tauschbörsen schwieriger machen kann, nicht weil etwa die Masse der Hörer die Nummer schon kennen würde, sondern weil die Plattenfirmen die Paranoia par Excellence befällt. Zeit also einmal Klartext zu reden.

Eine nicht ganz unwesentliche Voraussetzung für so eine Premiere ist die Möglichkeit, den Song vorab in der Musikredaktion hören zu können. Normalerweise tauchen Mitarbeiter der jeweiligen Plattenfirma mit einer unscheinbaren CD-Hülle ein bis zwei Wochen vorher bei uns auf, um uns das Zeugs vorzuspielen. Denn ein klingender Künstlername allein reicht uns noch nicht, um eine Showtreppe zu bauen. Wenn der Song nichts taugt, hat er im Programm nichts verloren.

Man lese und staune. Ö3, ihr Qualitätsradio.

Die letzte große Premiere, die wir durchgezogen haben, war "Dani California", die Comeback-Single der Red Hot Chili Peppers. Mein Kollege Wolfgang Domitner und ich mussten damals ins Headquarter von Warner Music fahren, weil man die Single um Gottes Willen nicht aus der Hand geben wollte. Kein Problem. Hauptsache, wir konnten das Teil vorab hören und uns eine Meinung bilden. Und was wir da gehört haben, hat uns umgehaut. Der Deal war schnell eingefahren. Ö3 macht die Österreichpremiere, bewirbt diese, und kriegt dafür Vorab-Interviews und einen attraktiven Preis für ein Gewinnspiel (Reise nach Hamburg zur Live-Präsentation im kleinen Rahmen). Faire Sache. So macht Arbeiten Sinn. Und Spaß. Mittlerweile ist "Dani California" ein Smash-Hit.

Wahnsinn, und wie Ö3 das durchgezogen hat. Wunderbaren Deal eingefahren, fair und exklusiv. Dann der Smash Hit. Wow.

Für Freitag planen wir die Premiere der neuen Single von Justin Timberlake. Ein Core-Artist von Ö3. Daher wollen wir das im Wecker durchziehen. Also in jener Sendung, in der wir die meisten Hörer haben. Jedoch. Bis dato haben wir noch keinen Takt gehört. Geschweige denn eine Melodie. Das ist uns irgendwie zu wenig. Also werden wir die ganze Kiste wahrscheinlich nach hinten schieben. Trotz weltweiten Airplays. Die zuständige Plattenfirma meint zwar, dass wir bis Donnerstag was kriegen könnten. Könnte aber auch sein, dass die Konzernzentrale in den USA das Teil bis zur letzten Sekunde blockiert. Wenn sie ganz auf Nummer Sicher gehen wollen, könnten sie uns ja die Single überhaupt erst nach der Premiere schicken ...

Und dann sowas. Einer der Core Artists. Kein Takt. Bis jetzt. Kurzer Schenkelklopfer zum Schluss, damit auch jeder die Dramatik des Ereignisses mitbekommt.

Dabei kriegen wir diese Woche sogar noch ein Interview mit Justin himself. Am Donnerstag in Paris. Da freuen wir uns. Weil der Mann nicht unbedingt dafür bekannt ist, ein entspanntes Verhältnis zu Journalisten zu pflegen. Als er vor Jahren mal Gast bei "Wetten, dass ..." in Graz gewesen ist, hat er in seinem gigantischen Begleittross einen Helfer mitgehabt, der dafür zuständig war, ihm eigenhändig die Drinks von der Hotelbar ins Zimmer rauf zu servieren. Weil Herr Timberlake Angst davor gehabt hat, dass sich ein böser Reporter als Mitarbeiter vom Zimmerservice ausgeben könnte. Mir persönlich wäre das zu blöd gewesen. Nicht bei Justin. Egal. Jetzt also ein legales Interview über seine neue Single, die wir noch nicht hören durften. Könnte ein ziemlich abstraktes Gespräch werden.

Also doch Premium Content. Interview mit Justin "the" Timberlake himself. Kurz noch die Promi Keule, als ob sich nicht jeder der nur annähernd das Vermögen von Herrn Timberlake hätte die Drinks bringen lassen würde anstatt selbst zur Hotelbar zu latschen und dort einen Eistee zu bestellen. Und dann der Überhammer: über etwas reden von dem man keine Ahnung hat. Und das soll schwer werden? Ich dachte das wäre Teil der Job Description.

Natürlich wäre es auch eine Option, die Katze im Sack zu kaufen. Bei einem Künstler, der ohnehin leicht zum Jammern neigt, nicht ganz unriskant. Mehr als zwei Millionen verstörte Menschen beim Frühstück. Das ist es nicht wert. Egal. Wir werden weiter senden. Auch ohne die Neue von Justin. Wenn sie ein Hit ist, wird sie ohnehin früher oder später im Programm auftauchen. Ohne Tamtam. Trotzdem schade. Radio ist Unterhaltung. Unterhaltung ist Show. Und da sind wir Master. Also her mit der Musik!

Oh Oh, Finale Grande, mit Redewendung, natürlich nicht ohne Anspielung auf den Gesangsstil (jammernde Katze, usw.) und Darstellung des Risikos. Der Wecker und die Premiere quasi als Mission Impossible. 2000 Höhenmeter ohne Seil, ohne doppelten Boden und ohne Sauerstoff.
Rücksicht auf die armen Menschen, die der Wecker verstören könnte. Und das will Ö3 natürlich nicht. Never. Niemals. Versprochen. Ist nicht unsere Absicht. Und wenn uns das passieren sollte, bitte um Verzeihung.
Letztendlich bin ich beruhigt. Wir senden weiter. Ein klares Versprechen. Eine Ansage. Deutlich, stark, zukunftssicher. Was hätte man sich wohl anderes von wahren Show-Mastern erwartet. Profis ihres Faches. Könner. Experten. Völlig unprätentiös, ohne Übertreibung. Einfach ehrlich. Danke.
Dieser Beitrag wurde am Dienstag, 4. Juli 2006, 14:42 verfasst und hat 2 Kommentare. Sie können ihn kommentieren oder über Trackback sowie den Permalink darauf Bezug nehmen.




ältere Beiträge »